European Interests - newsletter provided by European Social, Organisational and Science Consultancy (ESOSC), Aghabullogue, Ireland. ISSN 1649-1955.

Issue 1-2002

Rezension

Eberhard Eichenhofer: Sozialrecht der Europäischen Union; Berlin/Bielefeld/München: Erich Schmidt Verlag, 2001; 284 Seiten; € 38.86

Dass das nationale Recht immer mehr vom internationalen Recht, und insbesondre vom Recht der Europäischen Gemeinschaften und der Europäischen Union überlagert wird, ist bekannt. Die Verspätung, mit der diese Erkenntnis auch in den Bereich des Sozialrechts eindringt, ist vor allem wohl zwei Umständen geschuldet.

Erstens ist das Europäische Sozialrecht selbst äußerst undurchsichtig. Die relevanten Regelungen sind zumeist nicht originär sozialrechtlich begründet, sondern gebunden an andere primäre Regelungsinteressen – es schlägt sich hier eben die Dominanz des Binnenmarktkonzepts wieder: Sozialer Schutz ist Europäisch nicht sozial-, sondern marktrechtlich hinterlegt.

Zweitens, nicht zuletzt durch diese Unklarheit begründet, zugleich aber durch die konzeptionelle Beschränkung, wie sie sich aus dem Subsidiaritätsgrundsatz ergibt, besteht auch eine Neigung, das Europäische Recht einfach „zu übersehen“, den zunächst einfachen Weg des nationalen Rechts zu begehen. Dahinter steckt auch eine Begrenzung in der Wahrnehmung in dem Sinn, dass Europäisches Recht nur für jene Fälle als relevant angesehen wird, in denen Grenzüberschreitung, d.h. Arbeit in einem anderen Mitgliedstaat, eine Rolle spielt.

Eichenhofer bringt in hilfreicher Weise die drei Bereiche zusammen, die eine entsprechende Würdigung des Europäischen Rechts ermöglichen.

In einem ersten Teil wird deutlich gemacht, dass dieses Recht Teil letztlich nur begreifbar ist als Teil dessen, was gemeinhin mittlerweile als Mehrebenen-Modell bezeichnet wird. Es ist dies im vorliegenden Fall

das Ineinandergreifen von nationalem und Europäischem Recht, auch die Feststellung des übergeordneten Europäischen Rechtes,

das (teils noch fehlende) Ineinandergreifen der verschiedenen Rechtsebenen und ~bereiche, insbesondere im Europäischen Recht selbst (Primär- und Sekundärrecht …) und schließlich

das Handeln mit den politischen Schwerpunkten und Orientierungen – denn schließlich sind immer diese Unterschiede auch zu berücksichtigen, wie sie sich z.B. durch die unterschiedliche Regelungsarten, etwa Direktiven oder Richtlinien.

All dies zu wissen und zu berücksichtigen ist wichtig, um das Recht in seinen Einzelbestimmungen dann überhaupt erst richtig anwenden zu können. Von entscheidender Bedeutung für die im weiteren folgende Darstellung eben dieser Einzelbestimmungen ist die Untergliederung in

das koordinierende Sozialrecht der EU, welches im zweiten Teil dargestellt wird und

das harmonisierende Sozialrecht, welches im Blickfeld des Dritten Teils steht.

Diese beiden Teile bieten eine auch für den im Rechtsbereich eher sich als Laien einstufenden Leser eine klare und verständliche Darstellung – etwa eine Mischung aus systematischer Darstellung als Entwicklung des Systems einerseits und einem Nachschlagewerk für die einzelnen Bestimmungen.

Als Grundlagenwerk macht es die wichtigsten Bestimmungen zugänglich, ist aber freilich gleichzeitig dadurch eingeschränkt, dass es nie auf den neusten, sich schnell ändernden Stand zu bringen ist – der Ausgleich besteht eben in der systematisch erfolgenden Entwicklung des Grundkonzepts Europäischen Rechts, insbesondere der Unterteilung in koordinierendes und harmonisierendes Recht.

Ein vierter Teil, der sich mit einem Ausblick den Zukunftsperspektiven des Sozialrechts der EU widmet, ist etwas enttäuschend. Zwar wird richtigerweise darauf hingewiesen, dass ’Die Koordination der Systeme sozialer Sicherheit (…) bis zum heutigen Tage das weitest fortgeschrittene Resultat der Sozialpolitik der EU (ist). Deren Erfolg ist bemerkenswert, weil deren Effektivität kaum in Erscheinung tritt.’ (227) Und ebenso wird richtig festgestellt, dass die Regeln der Koordination sozialer Sicherheit maßgeblich mit dem Problem der Vereinfachung umzugehen haben, ’auf der politischen Ebene (…) die Bemühungen zu einer Vereinheitlichung jedoch … zu einem Stillstand gekommen (sind).’ (ibid.) Doch die darauf aufgebaute Perspektive ist jedoch sehr affirmativ, wenn festgestellt wird, dass ’jeder faire Wettbewerb (…) nach einem Rechtsrahmen (verlangt), der Wettbewerbsvorteile zu Lasten Dritter unterbindet.’ (247) In Konsequenz wird gerechtfertigt, dass die EU nur das reproduziert, was angeblich mit ihr überwunden werden soll, namentlich das Nationalstaatsprinzip (s. 256)

Trotz der gemachten Einschränkungen – der politisch anfechtbaren Perspektivbildung und der möglicherweise schnellen Überholtheit des Aktualitätsgrades – ist das Buch sicherlich empfehlenswert für jene, die wenigstens einen grundsätzlichen Überblick über die Bestimmungen des Europäischen Sozialrechts haben wollen und auch für jene, die den Gesamtaufbau des Europäischen Rechtssystems kennen lernen wollen.

 

© Peter Herrmann

 

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